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Neuburger und die Blue-Ocean-Strategie

Wie können wir uns vom Mitbewerb abheben? Die faszinierendste Methode für die Klärung dieser Frage ist für mich nach wie vor die Blue-Ocean-Strategie. Am Beispiel Neuburger zeige ich, wie die Methode funktioniert.

Mit mehr als 3,5 Millionen verkauften Exemplaren zählt das Buch „Der Blaue Ozean als Strategie“ von W. Chan Kim und Renée Mauborgne (Buch bei amazon.de) zu den absoluten Bestsellern im Marketing. Der Grundgedanke des Modells ist, dass durch die Entwicklung neuer Märkte erfolgreiche Geschäftsmodelle ohne Konkurrenzdruck entstehen können.

Unberührte Märkte und Branchen werden dabei als „Blaue Ozeane“ bezeichnet, in denen sich keine oder nur wenige Mitbewerber tummeln. Im Gegensatz dazu werden gesättigte Märkte mit ähnlichen Angeboten und starkem Wettbewerb „Rote Ozeane“ genannt.

Die Formulierung einer erfolgreichen Strategie zur Eroberung eines Blauen Ozeans erfolgt durch einen analytischen und kreativen Prozess. Im Mittelpunkt steht dabei die Strategische Kontur, die Klarheit über die zukünftige Ausrichtung des Angebots schaffen soll.

Grundlegende Überlegungen betreffen dabei die Stoßrichtungen Fokus und Divergenz. Also: Auf welche Schwerpunkte will ich mich in meiner Arbeit konzentrieren? Und wodurch kann ich mich von anderen Anbietern unterscheiden?

Die Leberkäse-Revolution

In einem ersten Schritt werden dazu die wesentlichen Merkmale des bekannten Markts erfasst und bewertet. Zur Verdeutlichung möchte ich Ihnen die Erstellung der Strategischen Kontur am Beispiel des österreichischen Fleischbetriebs Neuburger demonstrieren.

Die Wurzeln des Familienunternehmens aus Ulrichsberg im Mühlviertel gehen bis ins Jahr 1919 zurück. Über die Jahre entwickelte sich eine erfolgreiche Firma für Fleisch- und Wurstwaren, deren wirtschaftlicher Erfolg allerdings auf die Region beschränkt blieb.

Mit der Übernahme durch Hermann Neuburger im Jahr 1986 wurden die Weichen völlig neu gestellt. „Was ich brauche ist Aufmerksamkeit, sonst sterbe ich in Schönheit“, wird Neuburger in einem Beitrag der Tageszeitung Die Presse zitiert.

Er fasste einen radikalen Entschluss und beschloss, die Wurstwaren aufzugeben und sich nur noch auf ein einziges Produkt zu konzentrieren: Einen neuartigen Leberkäse namens Neuburger, der im Jahr 1995 auf den Markt kam.

Den Markt verstehen

Um die Hintergründe für die Entwicklung des Neuburgers zu verstehen, müssen wir uns zunächst mit dem Marktumfeld für Leberkäse Anfang der 1990-er Jahre auseinandersetzen. Die Produkte waren kaum unterscheidbar, Markenführung und Werbung gab es von Seiten der Hersteller so gut wie keine.

Es entstand eine hohe Abhängigkeit von Handelsketten, die sich in einem großen Preisdruck auf die Erzeuger niederschlug. Das Resultat war ein zunehmender Qualitätsverlust in der Herstellung, Leberkäse bekam das Image eines Fleischabfallprodukts.

Für die Erstellung der Strategischen Kontur wird zunächst der österreichische Leberkäsemarkt zu Beginn der 1990er-Jahre in einem Diagramm erfasst. Auf der X-Achse werden die zentralen Marktfaktoren eingetragen, auf der Y-Achse ihre Ausprägung.

Die vier Aktionsfelder …

Als Hermann Neuburger sein Unternehmen neu ausrichtete, war die Blue-Ocean-Strategie noch unbekannt. Dennoch erscheint seine Herangehensweise wie eine Blaupause des Modells.

Der Marktsituation mit der hohen Abhängigkeit von Handelsketten begegnete Neuburger mit der Konzentration auf ein einziges Produkt (Fokus), das sich zudem klar vom Mitbewerb unterscheiden sollte (Divergenz).

Im nächsten Schritt werden nun also die Eigenschaften des Neuburgers hinzugefügt. Kim und Mauborgne nennen vier Aktionsfelder, die in die Überlegungen einfließen müssen:

  • Eliminierung: Welche der Faktoren, die die Branche als selbstverständlich betrachtet, müssen eliminiert werden?
  • Reduktion: Welche Faktoren müssen bis weit unter den Standard der Branche reduziert werden?
  • Steigerung: Welche Faktoren müssen bis weit über den Standard der Branche gesteigert werden?
  • Kreation: Welche Faktoren, die bisher noch nie von der Branche geboten wurden, müssen kreiert werden?

… und ihre Anwendung bei Neuburger

Hermann Neuburger reduzierte die Faktoren Produktpalette, Esstemperatur und Scheibendicke. Während andere Hersteller mehrere Arten von Leberkäse im Programm haben – wie z. B. Pfefferonileberkäse oder Käseläberkäse – gibt es vom Neuburger nur eine einzige Sorte. Der klassische Leberkäse wird warm gegessen, der Neuburger im Gegensatz dazu kalt. Und statt der üblichen zwei Zentimeter dicken Scheiben wird der Neuburger hauchdünn aufgeschnitten.

Gesteigert hat Hermann Neuburger die Faktoren Gesundheit und Preis. Das Produkt, das auf einem alten Familienrezept beruht, weist einen geringeren Fettgehalt als der durchschnittliche Mitbewerber auf. Außerdem werden für die Erzeugung ausschließlich Zutaten mit dem AMA-Gütesiegel verwendet. Durch die höhere Qualität ist auch eine Preissteigerung gerechtfertigt.

Die Kreation betrifft vor allem die Markenführung: Hermann Neuburger investierte völlig unüblich für die Branche stark in Werbung, die zu einem hohen Bekanntheitsgrad des Produkts führte. Im Vergleich zur Konkurrenz mutet die Präsentation des Neuburgers nahezu luxuriös an.

Durch die einzelnen Maßnahmen gelang es Neuburger, die Abhängigkeit von den Handelsketten zu eliminieren. Angesichts der hohen Kundennachfrage können es sich Supermärkte im mittleren und gehobenen Segment praktisch nicht mehr leisten, keinen Neuburger im Sortiment zu führen.

Bestes Beispiel: Aufgrund unterschiedlicher Preisauffassungen listete der Handelsriese REWE im Jahr 2004 den Neuburger aus den Billa-Regalen aus. Zwei Jahre später wurde die Entscheidung reumütig zurückgenommen, berichtet Die Presse.

„Sagen Sie niemals Leberkäse zu ihm“

Die Strategische Kontur von Neuburger offenbart die größten Unterschiede zu anderen Leberkäseherstellern:

Das Augenmerk sollte auf jene Bereiche der Strategischen Kontur gelegt werden, wo die Unterschiede zur Konkurrenz am deutlichsten ausfallen. Hier zeigen sich die entscheidenden Wettbewerbsvorteile.

Diese Vorteile münden in die Formulierung des „Überzeugenden Slogans“. Bei Neuburger ist dieser herausragend gut gelungen: „Sagen Sie niemals Leberkäse zu ihm“ bringt es die Markenbotschaft auf den Punkt und wird außergewöhnlich gut gemerkt.

„Wir sind nicht austauschbar“, meint Hermann Neuburger im Interview mit Die Presse. Das sei im hoch konzentrierten österreichischen Lebensmittelhandel die einzige Möglichkeit zu überleben.

Titelbild: Copyright Neuburger, entnommen aus meinem Buch Profilierung