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Storytelling: Sugar Man auf Heldenreise

Der 2013 mit einem Oscar prämierte Dokumentarfilm „Searching for Sugarman“ bietet eine bemerkenswerte Schablone für die Umsetzung der Heldenreise. Auch wenn er sich dabei ein wenig von der Wahrheit entfernt.

„Es war die größte und verblüffendste wahre Geschichte, die ich jemals gehört habe, schon fast ein archetypisches Märchen.“

Mit diesen Worten beschrieb der leider früh verstorbene schwedische Regisseur Malik Bendjelloul seine Motivation für den Film „Searching for Sugar Man“. 

Der US-Musiker Sixto Rodriguez war Anfang der 1970-er Jahren ein gefeierter Superstar in Südafrika, das international wegen seines Apartheid-Regimes isoliert war. Für die Fans war es daher schwer, an Informationen über den Künstler zu kommen.

Im Gegenzug hat Rodriguez selbst nichts von seinen Erfolgen im Kapstaat erfahren. Nachdem seine beiden Alben in den USA gefloppt waren, hängte Rodriguez die Musik an den Nagel.

Nach dem Ende der Apartheid wollten zwei südafrikanische Rodriguez-Fans die Wahrheit über den Verbleib ihres Idols herausfinden und spürten Rodriguez 1998 in Detroit auf.

Das Ende des Films wird zum Triumphzug: Sixto Rodriguez reist nach Südafrika und spielt eine Reihen von umjubelten Konzerten, die allesamt ausverkauft sind.

Das Konzept der Heldenreise

Die Dramaturgie des Films folgt der sogenannten Heldenreise. Das Grundmuster hat der amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell (1904-1987) anhand von Erzählungen aus der Antike erforscht. Professionelle Storyteller sollten die Dynamik des Konzepts kennen, um – im besten Sinne – „merkwürdige“ Geschichten erzählen zu können.

In Hollywood ist das Modell ein alter Hut. Die Dramaturgie wurde in etlichen Blockbustern wie „Star Wars“, „Das Schweigen der Lämmer“ oder „Pretty Woman“ verwendet. Aber auch im neuen „Lego Movie“ ist das die Heldenreise als Vorlage klar erkennbar.

Mir ist allerdings kein Fall bekannt, wo die zwölf Stationen der Heldenreise dermaßen präzise umgesetzt worden sind wie in „Searching for Sugarman“. Bendjelloul dürfte die archetypische Vorlage genau studiert haben.

Die 12 Stationen der Heldenreise

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StationHandlung bei „Searching for Sugarman“
1
Die gewohnte WeltRodriguez tingelt mit seiner Musik in den 1960-er Jahren durch schäbige Bars in Detroit.
2
Der Ruf zum AbenteuerRodriguez wird entdeckt. Er gilt als größeres Talent als Dylan. Er nimmt 1967 seine erste Single auf und wechselt zu Sussex Records von Clarence Avant.
3
Die Verweigerung des RufsDie beiden Alben „Cold Fact“ (1970) und „Coming from Reality“ (1971) floppen in den USA. Rodriguez kehrt dem Musikgeschäft den Rücken zu und arbeitet u. a. als Sozialarbeiter und auf dem Bau. Im politisch zunehmend isolierten Südafrika wird Rodriguez hingegen zum Superstar. Dort kursieren Gerüchte, dass sich Rodriguez das Leben genommen hatte.
4
Begegnung mit dem MentorDie südafrikanischen Rodriguez-Fans Stephen „Sugar“ Segerman und Craig Bartholomew Strydom machen sich auf die Suche nach Rodriguez und findet ihn schließlich 1998 in Detroit.
5
Überschreiten der ersten SchwelleRodriguez erfährt erstmals von seinen großen Erfolgen in Südafrika. Die Frage taucht auf, was mit den Verkaufserlösen passiert ist.
6
Bewährungsproben, Verbündete, FeindeProduzent Clarence Avant reagiert unwirsch auf die Frage nach den Einkünften aus den südafrikanischen Plattenverkäufen. („Glauben Sie wirklich, dass sich irgendwer um einen Vertrag aus dem Jahr 1970 den Kopf zerbricht?“)
7
Vordringen in die tiefste HöhleRodriguez begreift sein Parallelleben als Superstar in Südafrika.
8
EntscheidungskampfRodriguez lässt sich überreden, nach Südafrika zu reisen.
9
Belohnung und Ergreifen des SchwertsTriumphaler Auftritt vor 20.000 Fans in Kapstadt (1998). Weitere ausverkaufte Konzerte folgen.
10
RückwegRodriguez kehrt nach Detroit zurück. Obwohl er zunehmend zu Bekanntheit gelangt, bleibt er in seinem bescheidenen Haus wohnen.
11
Erneuerung/VerwandlungRodriguez geht auf Welttournee und erfüllt sich seinen Jugendtraum als erfolgreicher Musiker.
12
Rückkehr mit dem ElixierRodriguez verteilt einen großen Teil seiner Einnahmen unter Freunden und Familie.

Interessantes Detail: Die Dramaturgie der Heldenreise hat in dem Film offenbar eine wesentliche Weglassung erfordert. Denn bereits im Jahr 1979 feierte Rodriguez in Australien ein Comeback. Seine beiden Shows waren mit je 30.000 Zuschauern ausverkauft. 1981 ging er zudem mit der australischen Band „Midnight Oil“ auf Tournee.

Das alles verschweigt aber der Film. Es hätte der Heldenreise zuviel an Fahrt gekostet.