In der Marketing-Zeitschrift „absatzwirtschaft“ räumen führende Vordenker mit den Mythen des Marketings auf. Dazu zählt, dass das Marketing Marken macht. Das greift zu kurz. Es ist die Unternehmenskultur, für die wiederum der Brand Purpose eine entscheidende Rolle spielt.
Manfred Bruhn (⬈ Wikipedia-Profil), Manfred Kirchgeorg (⬈) und Heribert Meffert (⬈) zählen ohne Frage zu den wichtigsten Marketing-Wissenschaftlern im deutschsprachigen Raum. In der Zeitschrift „absatzwirtschaft“ (Ausgabe Mai 2021) haben sie sich mit einigen Mythen beschäftigt, die das Marketing in der Praxis begleiten.
Die Autoren verweisen u. a. darauf, dass der Mythos „Marketing macht Marken“ in mehrfacher Hintersicht zu hinterfragen sei. Bevor sich starke Markenimages in den Köpfen der Zielgruppen etablieren könnten, gelte es, eine Markenidentität zu erschaffen. Eine besonders große Rolle für die Schaffung der Markenidentität spielt die Unternehmenskultur.
Starke Marken entstehen durch eine identitätsorientierte Unternehmenskultur, die in einem darauf abgestimmten Verhalten aller Mitarbeiter für die Kunden sichtbar und spürbar werden.
Manfred Bruhn, Heribert Meffert, Manfred Kirchgeorg: Mythen des Marketings. In: absatzwirtschaft 5/2021, S. 40
Mitarbeiter*innen sind die stärksten Markenbotschafter*innen. In meinen Beiträgen über Behavioral Branding und Werteorientiertes Marketing erfahren Sie, worauf es ankommt, um die Markenidentität an Ihre Mitarbeiter*innen zu vermitteln.
Die Frage nach dem „Warum“
Die wichtigste Frage, die sich Führungskräfte bei der Klärung der Markenidentität stellen müssen, ist das „Warum“. Mit seinem Modell des „Golden Circle“ hat Simon Sinek 2009 ein immens einflussreiches Modell entwickelt. Laut Andreas Baetzgen, Professor für Wirtschaftskommunikation, hat kein anderes Modell Markenentwicklungen in den vergangenen Jahren so stark beeinflusst wie Sineks „Goldener Kreis“.
Im Zentrum des Modells steht demnach ein Brand Purpose – also das „Warum“ einer Marke. Es dient als Grundlage für die Differenzierung („Wie“) und die Gestaltung der Produkte und Leistungen („Was“).
Das „Warum“ fragt nach ihrem Geschäftszweck, ihrem Anliegen und ihren Glaubensgrundsätzen, sagt Simon Sinek in seinem bekannten TED Talk vom September 2009, der bislang 56 Millionen Aufrufe erzielt hat.
Alle inspirierten Personen und Firmen – Sinek führt hier Apple, Martin Luther King und die Gebrüder Wright an – haben oder hatten das „Warum“ in den Mittelpunkt ihrer Kommunikation gestellt. Die meisten Unternehmen würden aber den Fehler begehen, in erster Linie das „Was“ kommunizieren.
Das Beispiel Apple
„Menschen kaufen nicht, was du tust. Sie kaufen, warum Du es tust,“ betont Sinek. Am Beispiel Apple erkärt er, was er damit meint. Das Verkaufsversprechen, das wohl den meisten von uns in den Sinn kommt, könnte nach Sinek daher lauten:
„Wir machen großartige Computer. Sie haben ein wunderschönes Design, sind einfach zu bedienen und nutzerfreundlich. Möchten Sie einen kaufen?
Simon Sinek, TEDxPuget Sound, September 2009
Wie wir wissen, macht Apple das anders. Der US-Technologie-Riese stellt den Brand Purpose voran:
„Bei allem, was wir tun, glauben wir daran, den Status quo in Frage zu stellen. Wir glauben daran, anders zu denken. Wir stellen den Status quo in Frage, indem wir unsere Produkte wunderschön, einfach zu bedienen und benutzerfreundlich gestalten. Wir machen einfach großartige Computer. Möchten Sie einen kaufen?
Simon Sinek, TEDxPuget Sound, September 2009
Kritik am Modell
Die Wirkung der beiden Aussagen ist unschwer zu erkennen. Das „Warum“ zielt direkt auf unsere Emotionen, die für den Großteil unserer Kaufentscheidungen verantwortlich sind. Das „Was“ hingegen appelliert an unsere Rationalität.
Und genau hier gibt es auch Kritik am Modell: Andreas Baetzgen meint im Harvard Business Manager, dass im Wettbewerb der Moralvorstellungen das Produkt- oder Leistungsangebot einer Marke aus dem Blick rückt. Vielmehr sei aber entscheidend, was Kunden wollen und suchen. Apple zeige selbst, dass der Brand Purpose alleine nicht ausreiche.
„Gerade die von Simon Sinek glorifizierte Marke Apple ist dafür das beste Beispiel. Zwar hat sie einen überragenden Brand Purpose und treibt munter die eigene Mystifizierung voran. Doch für die Kunden steht das längst nicht mehr im Mittelpunkt. Sie messen die Marke schon seit vielen Jahren vor allem daran, was Apple in den groß inszenierten Produktpräsentationen an faktischen Innovationen und Produktneuheiten zeigt.“
Andreas Baetzgen, Harvard Business Manager 2/21
Die Kritik ist nachvollziehbar: Der Brand Purpose spielt eine große Rolle für die Markenidentität und die Unternehmenskultur. Er ist entscheidend für das Commitment der Mitarbeiter*innen und hat eine hohe Anziehungskraft für Gleichgesinnte.
Auf Dauer reicht das freilich nicht. Die Outdoor-Marke Patagonia etwa wurde zwar durch ihren Einsatz für Umweltschutz und Nachhaltigkeit bekannt. Doch ohne hochwertige und langlebige Produkte würde der Brand Purpose ins Leere laufen.
Letztendlich verschweigt aber auch Simon Sinek die Bedeutung des „Was“ und des „Wie“ nicht. Der Goldene Kreis braucht alle drei Elemente, damit die Kommunikation zum Erfolg führt.
Literaturtipps
Simon Sinek (2014): Frag immer erst: warum. Wie Top-Firmen und Führungskräfte zum Erfolg inspirieren. Redline, München. (Buch bei amazon.de)
Simon Sinek (2018): Finde dein Warum. Der praktische Wegweiser zu deiner wahren Bestimmung. Redline, München. (Buch bei amazon.de)
Simon Sinek (2017): Gute Chefs essen zuletzt. Warum manche Teams funktionieren – und andere nicht. Redline, München. (Buch bei amazon.de)
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