Mandela, Galtung und die Friedensformel

Mandela, Galtung und die Friedensformel

Vor 35 Jahren – am 11. Februar 1990 – wurde Nelson Mandela aus dem Gefängnis entlassen. Er fehlt. Denn im Unterschied zu den verantwortungslosen Populist*innen, die uns heute mit Polarisierung und Propaganda auf Trab halten, stellte er das Gemeinsame über das Trennende.

Südafrika war nach dem Ende der Apartheid ein Pulverfass. Mandelas Einsatz für das Miteinander statt Spaltung und Vergebung statt Rache verhinderte einen Bürgerkrieg. Sein Führungsstil ist bis heute ein weltweites Vorbild für Frieden und Einheit geblieben. Anhand der Friedensformel des im Vorjahr verstorbenen Friedensforschers Johan Galtung lässt sich Mandelas eindrucksvolles Wirken gut nachvollziehen.

Der norwegische Soziologe, Mathematiker und Politikwissenschaftler Johan Galtung (1930-2024) gilt als Gründungsvater der Friedens- und Konfliktforschung. Doch auch für die Kommunikationswissenschaft hatte Galtung als Entdecker der Nachrichtenfaktoren überragende Bedeutung.

2017 habe ich ein ungemein inspirierendes Seminar bei Johan Galtung in Grenzach-Whylen besucht. Ein Aha-Erlebnis bescherte mir damals die von Galtung erschaffene Friedensformel (Peace Formula), die wie folgt lautet:

Laut Galtung ist Friede nur dann möglich, wenn der Produktwert über dem Bruchstrich größer ist als jener darunter.

Johan Galtung und Martin Sturmer mit der Friedensformel (Fotomontage)

Für Johan Galtung war Mandelas Politik richtungsweisend. Im Vorfeld der ersten demokratischen Wahlen von 1994 stand Südafrika an der Schwelle zum Bürgerkrieg. Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden politischen Gruppierungen, zahlreiche Anschläge und Aufstände in den Townships kosteten allein im Jahr 1993 über 3.700 Menschen das Leben.

Was tat Nelson Mandela also, um Equity und Harmony zu stärken, Traumata zu verarbeiten und Konflikte erst gar nicht entstehen zu lassen?


Equity

Das rassistische Apartheid-Regime hatte zu strukturellen Ungleichheiten geführt, die Schwarze Mehrheitsbevölkerung war systematisch von wirtschaftlichen Ressourcen und politischen Entscheidungen ausgeschlossen. Grundstein für die Schaffung sozialer Gerechtigkeit war eine Übergangsverfassung (1994-1997).

Gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft implementierte Mandela das “Reconstruction and Development Programme” (RDP), um günstigen Wohnraum, Zugang zu Bildung und Beschäftigungsmöglichkeiten für benachteiligte Gemeinschaften zu schaffen. Erste Maßnahmen zu „Black Economic Empowerment“ ermöglichten Schwarzen Südafrikaner*innen Managementpositionen in großen Unternehmen. 


Harmony

Zur Regenbogennation sollten sich alle Bevölkerungsgruppen zugehörig fühlen. Dazu braucht es die unbedingte Bereitschaft, Brücken zu bauen. Mandela selbst ging mit gutem Beispiel voran.

Bekanntestes Ereignis: Bei der Rugby-WM in Südafrika 1995 trug er das Trikot der Springboks, ein Symbol des weißen Afrikaaner-Nationalstolzes, und unterstützte die Mannschaft.


Trauma

Die grausamen Verbrechen während der Zeit der Apartheid haben tiefe Narben in der Bevölkerung hinterlassen. Mandela rief die Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) ins Leben, um diese Wunden zu heilen.

Die Kommission unter dem Vorsitz von Desmond Tutu gewährte Einzelpersonen Amnestie im Austausch einer vollen Aufdeckung bezüglich der Verbrechen, für die sie um Amnestie baten. 


Conflict

Bei den ersten demokratischen Wahlen Ende April 1994 erreichte der ANC unter der Führung von Nelson Mandela mit 62,65 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit. Gemäß den Bestimmungen der Übergangsverfassung bildete Präsident Mandela die Regierung der Nationalen Einheit.

Seinem Kabinett gehörten auch Vertreter der zuvor regierenden “Nasionale Party” sowie der “Inkatha Freedom Party“ (IFP) an. Mandelas Amtsvorgänger Frederik Willem de Klerk wurde zweiter Vizepräsident, IFP-Vorsitzender Mangosuthu Buthelezi Innenminister. 

„Um mit einem Gegner Frieden zu schließen, muss man mit ihm zusammenarbeiten, und der Gegner wird dein Freund.“

Nelson Mandela

Titelbild: Statuen der vier südafrikanischen Friedensnobelpreisträger am Nobel Square in Kapstadt. Von links nach rechts: Albert Luthuli (Friedensnobelpreis 1960), Desmond Tutu (1984), Frederik Willem de Klerk und Nelson Mandela (beide 1994). Foto: Erik Koole Photography / Shutterstock.com