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Der Mordfall Louis Le Prince

Vor 130 Jahren – am 14. Oktober 1888 – schuf Louis Le Prince mit seiner „Roundhay Garden Scene“ den ersten Film der Geschichte. Zwei Jahre später verschwand er spurlos. Eine Autorin behauptet sogar, dass Thomas Alva Edison seine Finger im Spiel hatte.

Wenn man nach den Pionieren des Films fragt, werden häufig die Brüder Lumière oder Thomas Alva Edison genannt. Louis Le Prince hingegen scheint weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein.

Zu Unrecht: Denn Le Prince drehte den ersten Film der Geschichte. Die „Roundhay Garden Scene“ wurde im Garten der Familie Whitley in Roundhay, einem Vorort von Leeds, aufgenommen. Von dem kurzen Streifen ist heute noch ein Fragment erhalten:

Louis Aimé Augustin Le Prince wurde 28. August 1842 in Metz geboren. Während seines Chemiestudiums in Leipzig freundete er sich mit John Whitley an. Dieser lud ihn 1866 zu einer Mitarbeit im Familienunternehmen in Leeds ein. Le Prince folgte dem Ruf nach England. 1969 heiratete er Johns Schwester Elizabeth.

1881 zog Le Prince mit seiner Familie nach New York. Dort experimentierte er mit bewegten Bildern. 1886 entwickelte er eine Kamera mit 16 Objektiven, für die im Jänner 1888 ein Patent erteilt wurde. Das Ergebnis war jedoch wenig zufriedenstellend: Wegen der leicht unterschiedlichen Perspektiven der Objektive wirkten die Bilder verwackelt.

Nach seiner Rückkehr nach Leeds im Jahr 1887 entwickelt Louis Le Prince eine weitere Kamera mit nur einem Objektiv. Diese wurde im November 1888 patentiert. Mit dieser drehte er auch die „Roundhay Garden Scene“, die auf den 14. Oktober 1888 datiert wird.

In dem kurzen Streifen sieht man seinen Sohn Adolphe Le Prince, seine Schwiegereltern Sarah und Joseph Whitely sowie eine Freundin der Familie, Annie Hartley (Quelle: IMDB). Die vier können damit heute als die ersten Filmschauspieler bezeichnet werden.

Louis Le Prince - Public Domain
Louis Le Prince in den 1880er-Jahren (Bild: UnknownBBC News, Public Domain, Link)

1890 plante Le Prince seine Rückkehr nach New York, um dort seine Kamera vorzustellen.  Am 12. September 1890 reiste er von Bourges nach Dijon und traf sich mit seinem Bruder. Laut dessen Aussage soll Le Prince am 16. September einen Zug nach Paris bestiegen haben.

Dann verliert sich seine Spur. Sein Verschwinden blieb rätselhaft: Trotz einer intensiven Suchaktion durch Familie und Polizei konnten keine Hinweise auf seinen Verbleib gefunden werden. 1897 wurde Le Prince schließlich für tot erklärt.

Heuerte Edison einen Auftragskiller an?

Die Umstände seines Verschwindens sorgten für wilde Spekulationen. Einige davon sind werden in einer Folge von „BuzzFeed Unsolved“ diskutiert. Die aufsehenerregendste Theorie ist, dass Thomas Alva Edison Le Prince ermorden ließ.

Das amerikanische Findergenie war im Wettlauf um die Entwicklung der ersten Filmkamera unter Druck geraten. Edison war zwar als erbarmungsloser Egomane verschrien, der alles seinem Erfolg unterordnete. Aber ging er dafür über Leichen?

Das Verschwinden von Louis Le Prince beschäftigt auch die Redaktion von „BuzzFeed Unsolved“.

Diesen Schluss legt jedenfalls ein Beitrag von Atreyee Guptra im Journal „Materials Today“ aus dem Sommer 2008 nahe. Die Autorin erzählt darin eine erstaunliche Geschichte: Der Chemiestudent Alexis Bedford soll bei Recherchen in einer New Yorker Bibliothek auf ein bislang unbekanntes Notizbuch von Edison gestoßen sein. Dort fand sich am 20. September 1890 folgender Eintrag (Quelle: Materials Today, eigene Übersetzung):

Eric hat mich heute aus Dijon angerufen. Es ist vollbracht. Prince gibt es nicht mehr. Das sind gute Nachrichten, aber ich zuckte zusammen, als er es mir erzählte. Mord ist nicht mein Ding. Ich bin Erfinder, und meine Erfindungen für bewegte Bilder können nun voranschreiten.

Mit der Erlaubnis der Bibliothekarin Charlene Edmonds soll Bedmond das Notizbuch zum Historiker Robert E. Myre an die New York University gebracht haben. Dieser bestätigte die Authentizität des Eintrags. Hatte Edison tatsächlich mit der Sache zu tun? Wie sonst hätte er bereits zu diesem Zeitpunkt von dessen Tod wissen können?

Fake Science?

Die Geschichte klingt unglaublich. Das weltbekannte Erfindergenie, das einen Rivalen brutal beseitigen ließ? Die Angelegenheit macht natürlich stutzig. Doch die Veröffentlichung des Artikels in „Materials Today“, das zum Wissenschaftsverlag Elsevier gehört, untermauert zunächst die Seriosität. Schließlich zählt die Zeitschrift zu den führenden Journalen für Materialwissenschaften, Beiträge durchlaufen ein Peer-Review-Verfahren.

Ein eigener Faktencheck ergab: Weder gab oder gibt es einen „Robert E. Myre“ an der New York University noch eine Bibliothekarin namens „Charlene Edmonds“. Auch vom Chemiestudenten „Alexis Bedford“ fehlt jede Spur. Wie kann das sein?

Update 8. Februar 2020: Meine eigene Vermutung, dass es sich bei diesem Beitrag um einen besonderen bizarren Fall von Fake Sciene handelt, hat sich als falsch herausgestellt. Eine E-Mail von David Brear aus Yorkshire an mich brachte Licht ins Dunkel: Die Autorin hatte einen Schreibwettbewerb des Magazins gewonnen. Es handelt sich bei dem Beitrag also um reine Fiktion. Eine entsprechende Kennzeichnung wäre in diesem Fall aber sicher hilfreich gewesen.

Was wirklich passiert sein könnte

Bleibt noch zu klären, was  mit Louis Le Prince tatsächlich passiert ist. Die Frage lässt sich bis heute nicht restlos klären. Einigermaßen plausibel klingt aber die Annahme seiner Ururenkelin Laurie Snyder, die sich intensiv mit ihrer Familiengeschichte auseinandergesetzt hat. Für sie war Louis Le Prince schlicht zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort.

Am 16. September 1890 kam Le Prince erst gegen 23:00 Uhr mit dem Zug in Paris an. Vom Bahnhof nahm er vermutlich ein Taxi zu seiner Unterkunft. Snyder vermutet, dass der Taxifahrer hinter dem Verbrechen steckt (Quelle: BBC, eigene Übersetzung):

Ich glaube, dass der Fahrer die späte Stunde und die Dunkelheit ausgenutzt hat. Er fuhr ihn zu einer abgelegenen Stelle an der Seine, schlug ihm auf den Kopf und warf ihn in die Seine.

Snyders Verdacht wird von zwei Zeitungsartikeln erhärtet, die über ähnliche Vorfälle in Paris zu dieser Zeit berichteten. Für diese Theorie spricht auch, dass im Pariser Polizeiarchiv 2003 eine Fotografie auftauchte. Sie zeigt einen im Jahr 1890 ertrunkenen Mann, der Le Prince ähnelt (Quelle: Who’s Who of Victorian Cinema).

Das Drama setzt sich fort

Wenngleich die Edison-Geschichte frei erfunden ist,  passt sie dennoch gut ins Gesamtbild. Thomas Alva Edison galt im Umgang mit Geschäftspartner als ruppig und rücksichtslos. Davon konnte auch seine Mitarbeiter William Kennedy Dickson ein Lied singen. Im Mai 1891 präsentierten Edison und Dickson ihr Kinetoscope. Mit diesem Instrument konnte eine einzelne Person einen Film durch ein Guckloch betrachten.

1895 verließ Dickson das Unternehmen von Edison und gründete mit der „American Mutoscope Company“ seine eigene Firma. Sein Mutoscope verwendete eine ähnliche Technik wie das Kinetoscope, war aber einfacher und günstiger.

Rechtsstreitigkeiten waren damit vorprogrammiert. Edison verklagte die „American Mutoscope Company“ 1898 vor Gericht. Die Anklageschrift ziele darauf ab, Edison als einzigen Erfinder der Kinematografie anzuerkennen und ihm damit auch die Verwertungsrechte einzuräumen.

Dickson brachte Alphonse Le Prince als Zeuge der Verteidigung. Dieser sollte die beiden Kameras seines Vaters vorführen, um dessen Pionierrolle zu beweisen. Die Vorführung wurde ihm allerdings vom Richter untersagt. Edison bekam vorübergehend Recht, das Urteil wurde jedoch ein Jahr später aufgehoben.

Wenige Jahre später sollte Adolphe Le Prince ein ähnliches Schicksal wie sein Vater erleiden: 1901 wurde er bei einer Entenjagd auf Fire Island, der südlichen Barriereinsel vor Long Island, erschossen.

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Titelbild: Shutterstock.com unter Verwendung von Fotografien von Louis Le Prince (gemeinfrei, Link) und Thomas Alva Edison (Victor Daireaux – imgur, gemeinfrei, Link)

2 Kommentare

  1. Manfred Bley

    Wenn man 1890(?) eine Leiche in der Seine gefunden hat, die fotografiert wurde und Le Prince ähnlich sieht, warum hat die Polizei das damals nicht zuordnen können, bzw. warum sind die intensiven Recherchen der Verwandtschaft nicht darauf gestoßen?

  2. Andreas Bierl

    Sehe ich ähnlich wie Herr Bley. Das wäre schon seltsam, die Polizei hat immer Listen mit vermissten Personen.
    Auf jeden Fall ist das Stoff für einen Thriller.

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