Press "Enter" to skip to content

Small Data: Anthropologie der Sehnsüchte

In seinem Buch „Small Data“ zeigt Martin Lindstrom, wie Konsumentenwünsche durch intensive Kundenbeobachtung ans Tageslicht gefördert werden können. Das Werk kann aber nicht restlos überzeugen.

Der Däne Martin Lindstrom gilt als einer der einflussreichsten Branding-Experten der Welt. Mit Titeln wie „Buyology: Warum wir kaufen, was wir kaufen“ (2009, Buyology bei amazon.de) und „Brandwashed: Was du kaufst, bestimmen die anderen“ (2012, Brandwashed amazon.de) hat er den Marketing-Olymp erklommen.

Kundenwünschen auf der Spur

In seinem letzten Buch „Small Data: Was Kunden wirklich wollen – wie man aus Hinweisen geniale Schlüsse zieht“ (2016, Small Data bei amazon.de) versucht er zu erklären, wie Unternehmen Kundenwünschen durch genaues Hinsehen und Hinhören auf die Spur kommen können.

Lindstrom nennt eine Reihe von Beispielen, wie die Methode Unternehmen zurück in die Erfolgsspur geführt haben: Der Turnschuh eines elfjährigen deutschen Buben, der den LEGO-Konzern rettete. Das Trollbeads-Prinzip, das einer Fitnesskette zu neuem Höhenflug verhalf. Oder der Lebensstil der hippen Cariocas von Rio de Janeiro, der einer Biermarke neues Leben einhauchte.

Natürlich: Lindstrom schaut genau hin. Er hat in den vergangenen Jahren mehrere Tausende Männer, Frauen und Kinder in 77 Ländern in ihrer vertrauten Umgebung beobachtet. Dafür ist er pro Jahr 300 Tage auf Achse. Er versucht, das Vertrauen der Personen zu gewinnen und auf diese Weise hinter ihre Sehnsüchte zu kommen. Selbst beschreibt er seinen Ansatz auf Seite 15 wie folgt:

Ich fraternisiere mit den Familien, höre mit ihnen Musik, sehe mit ihnen fern und esse mit ihnen. Bei solchen Besuchen – Zustimmung vorausgesetzt natürlich – schaue ich in Kühlschränke, öffne Schreibtischschubladen und Küchenschränke, durchforste Buchregale und Zeitschriften, Musik- und Filmsammlungen und Downloads, inspiziere Handtaschen, Brieftaschen und Suchverläufe im Browser, Facebook-Seiten, Twitter-Feeds, Emoji-Verwendung oder Instagram- und Snapchat-Accounts.

Schade ist allerdings, dass Lindstrom keine wirklich brauchbare Beschreibung seiner Methode liefert. Die Darstellung seines sogenannten 7C-Prozesses fällt eher oberflächlich aus. Ganz im Unterschied zu seinen Fallbeispielen, deren Vorgeschichte er detailliert ausführt und damit die Geduld der Leser ein wenig überstrapaziert.

Methoden der empirischen Sozialforschung

Hilfreich sind aber Lindstroms Querverweise zu wissenschaftlichen Errungenschaften, wie etwa zur „Hypothese der somatischen Marker“ des Neurowissenschaftlers António Damásio. Demnach markiert unser Gehirn in der Regel Ereignisse dann, wenn sich zwei unstimmige Bilder überschneiden.

Diese Erkenntnis ist im Marketing von enormer Bedeutung: Von den Tausenden Werbespots, die wir sehen, merken wir uns nur jene, die diese unstimmigen Bilder liefern: Als Beispiel führt Lindstrom das trommelnde Plüschkaninchen an, das für eine Batterie wirbt.

Neu ist Lindstroms Zugang freilich nicht: Letztendlich kombiniert er bekannte Methoden der empirischen Sozialforschung, wie etwa die teilnehmende Beobachtung oder qualitative Interviews.

Daher möchte ich Euch deshhalb an dieser Stelle an einen echten Klassiker der empirischen Sozialforschung ans Herz legen: „Die Arbeitslosen von Marienthal“ (1933, Buch bei amazon.de) von Marie Jahoda, Paul Lazarsfeld und Hans Zeisel waren im Unterschied zu Lindstroms Werk ein echter Meilenstein. Die Studie liefert auch nach 85 Jahren nach ihrer Veröffentlichung immer noch wertvolle Hinweise darauf, wie menschliches Verhalten auf kreative Art und Weise analysiert werden kann.

Titelbild: Shutterstock.com