Press "Enter" to skip to content

Das Akronym THINK

Ob auf Social Media oder in hitzigen Meetings: Viele von uns melden sich zu Wort, ohne darüber nachzudenken, wie unsere Botschaft beim Gegenüber ankommt. Das Akronym THINK schützt vor unbedachten Äußerungen.

Im Rahmen unserer Ubuntu-Reise für Führungskräfte nach Südafrika lernte ich Kevin Chaplin, CEO der Amy Foundation, in Kapstadt kennen. In den letzten Tagen habe ich sein sehr empfehlenswertes Buch „Can Do!“ gelesen, in dem Kevin viele Erfahrungen als Manager bei der First National Bank und später bei der Amy Foundation teilt.

Kevin Chaplin und Martin Sturmer in der Amy Foundation in Kapstadt (Foto: Daniela Molzbichler)

Eine dieser Empfehlungen handelt davon, wie wir miteinander sprechen sollen. Kevin schreibt:

Watch the Words that come out of your mouth. Each word you say can build a person up or break that person down. The nature of your sentiments says something about the way you think and who you are. Consider how differently you would respond to someone who comes up to you saying ‚Gosh Kevin, you’re looking great!‘ as opposed to, ‚Gosh Kevin, you’ve put on weight!‘ I know which one I would respond to best.

Kevin Chaplin, Can Do!, S. 124 f.

Bevor wir den Mund aufmachen, sollen wir das Akronym THINK beachten, meint Kevin in seinem Buch. Die einzelnen Buchstaben des Wortes stehen für:

T – Is it True?
H – Is it Helpful?
I – Is it Inspiring?
N – Is it Necessary?
K – Is it Kind?

Kevin Chaplin, Can Do!, S. 125

Das Akronym bietet in meinen Augen eine wertvolle Anleitung zur Eigenreflexion bei jedweder Art von Kommunikation – vor allem für die Nutzung von Social Media scheint sie sehr nützlich. Bevor wir unbedachte Äußerungen in die Tasten hauen, sind wir gut beraten, die fünf Buchstaben durchzudenken.

THINK und seine Herkunft

Mich interessierte, woher das Akronym eigentlich stammt. Einige Internet-Beiträge verweisen darauf, dass THINK erdacht wurde, damit sich Menschen in Social Media freundlicher verhalten. Andere verweisen darauf, dass es für den Einsatz gegen Online Mobbing entwickelt wurde.

Beides ist allerdings falsch. Das Akronym geht auf den brititischen Pastor und Autor Alan Redpath (1907-1989) zurück, der diesen Kommunikationsfilter während einer belastenden Zeit in einer seiner Pfarren ersann. Um dort die bestehenden Konflikte zu lösen, mussten alle Mitglieder der Gemeinschaft die THINK-Formel unterschreiben.

Redpath schreibt in einem Aufsatz aus dem Jahr 1989, dass die Verwendung des Akronyms hervorragend funktionierte:

If what I am about to say does not pass those tests, I will keep my mouth shut! And it worked!

Aland Redpath, The Making of a Man of God, S. 160

Amy Biehl’s Last Home

Doch nun zurück zu Kevin Chaplin und seiner Arbeit. Die Amy Foundation setzt sich für die Chancengleichheit von Jugendlichen in den Townships ein und hat eine ganz außergewöhnliche Geschichte, die ich Euch nicht vorenthalten möchte. Die Stiftung wurde nach der Ermordung der amerikanischen Fulbright-Stipendiatin Amy Biehl in der Township Gugulethu ins Leben gerufen.

Was war passiert? Die nachfolgende Darstellung des Vorfalls stammt aus dem hervorragend recherchierten Buch „Amy Biehl’s Last Home“ von Steven D. Gish. Ebenfalls empfehlenswert ist die nachfolgende Doku der Amy Foundation:

Im Jahr 1993 – das Jahr vor den ersten demokratischen Wahlen – galt Südafrika als Pulverfass. Mehr als 3.700 Menschen verloren in diesem Jahr ihr Leben aufgrund von politischer Gewalt.

Der Pan Africanist Congress (PAC) stand in Opposition zu Nelson Mandelas ANC, der für ein geeintes und demokratisches Südafrika eintrat. Der bewaffnete Flügel des PAC, die Azanian People’s Liberation Army (APLA), zeichnete für mehrere tödliche Angriffe auf weiße Zivilist*innen verantwortlich. Die Militanz des PAC äußerte sich in dem Slogan „one settler, one bullet“, den Anhänger*innen der Partei häufig bei Kundgebungen skandierten.

Die Tragödie von Gugulethu

Nach einem Jahr in Südafrika, stand die damals 26-jährige Amy Biehl kurz vor ihrer Rückkehr in die USA. Am 25. August 1993 wurde sie von drei Freund*innen gebeten, sie mit ihrem Mazda 323 zu einer Bushaltestelle im Township Gugulethu zu bringen. Was sie allerdings zu diesem Zeitpunkt niemand der vier Freund*innen wusste, war, dass dorthin ein wütender Mob mit PAC-Sympathisant*innen unterwegs war.

Gedenkstätte für Amy Biehl bei der Caltex-Tankstelle in Gugulethu, Kapstadt (Foto: Martin Sturmer)

Jemand erblickte Amy Biehl in ihrem Mazda 323 und schrie: „Here comes a settler!“ In der Folge prasselten Steine und Ziegel auf das Auto ein. Ein Stein durchbrach die Windschutzscheibe und verletzte Amy Biehl schwer am Kopf. Mehrere PAC-Anhänger*innen riefen „one settler, one bullet.“

Als Amy Biehl ausstieg, um in der Caltex-Tankstelle an der NY1 Schutz zu suchen, wurde sie vom Mob umringt. Sie wurde getreten, mit Steinen beworfen und erlitt mehrere Messerstiche. Irgendwie schaffte sie es, sich vom Boden aufzuraffen und die Tankstelle zu erreichen. Dort verlor sie das Bewusstsein. Kurz Zeit darauf verstarb sie in der Polizeistation von Gugulethu, die nur wenige Blocks vom Tatort entfernt lag. Ihre Freund*innen überlebten den Vorfall.

„Vergebung ist befreiend.“

Bald darauf wurden vier Burschen für den Mord an Amy Biehl verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe von 18 Jahren verurteilt. Amys Eltern, Linda und Peter Biehl, reisten nach dem tragischen Tod ihrer Tochter nach Kapstadt. Später trafen sie die vier jungen Männer. Das Ehepaar erkannte, dass die Jugendlichen Opfer des politischen Systems waren; ihr Hass war demnach nicht gegen Amy persönlich sondern gegen Weiße im Allgemeinen gerichtet.

Im Jahr 1998 wurden die vier Männer vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) begnadigt, da sie ihre Tat zutiefst bedauert und um Vergebung gebeten hatten. Die TRC stufte den Mord zudem als politisch motiviert ein. Zuvor hatten Linda und Peter Biehl die Freilassung der Mörder ihrer Tochter unterstützt.

To us, forgiveness is opening the door to a full and productive life. We can honor Amy, be true to her convictions, and can carry on with her work and ours. Forgiving is liberating. By contrast, it seems to us that hatred consumes tremendous energy – negative energy- and robs people of their productivity. Hatred, in the end, ist totally selfish behavior.

Peter Biehl, In: Steven D. Gish , Amy Biehl’s Last Home, S. 240 f.

Bereits 1994 hatten Linda und Peter Biehl die Amy Biehl Foundation gegründet, um Perspektiven für die Jugendlichen in den Townships zu schaffen und das Andenken an ihre Tochter hochzuhalten. 2002 verstarb Peter Biehl. Kevin Chaplin wurde im Jahr 2007 zum Direktor der Foundation ernannt. Nach Differenzen mit Linda Biehl trägt die Stiftung seit 2016 den Namen Amy Foundation.

Literatur

Kevin Chaplin (2020): Can Do! Making the Impossible Possible! Print Matters, Noordhoek.

Alan Redpath (1989): The Making of a Man of God. In: David L. Olford (Hrsg.), A Passion for Preaching. Thomas Nelson Publishers, Nashville, S. 156-162.

Steven D. Gish (2018): Amy Biehl’s Last Home. A Bright Life, a Tragic Death, and a Journey of Reconciliation in South Africa. Ohio University Press, Athens.

Titelbild: Canva