Journalist*innen wählen täglich aus einer Vielzahl von Pressemitteilungen aus. Um in der Informationsflut nicht unterzugehen, greifen PR-Profis gerne zum sogenannten „Küchenzuruf“. Damit gemeint ist der Kernbotschaft einer Pressemitteilung, die gekonnt auf den Punkt gebracht wird.
„Warum soll ich das lesen?“ Diese Frage stellen sich Journalist*innen tagtäglich, wenn sie PR-Meldungen in ihrem Posteingang sichten. Springt die Antwort nicht sofort ins Auge, gesellt sich die Pressemitteilung zumeist zu den anderen – in den Papierkorb.
Der „Küchenzuruf“ sorgt dafür, dass sie die Kernaussage Ihrer Presseaussendung klar und deutlich herausstreichen. Der Begriff wurde von Henri Nannen (1913-1996), Gründer der Zeitschrift Stern, geprägt.
Als Chefredakteur machte Nannen den Stern zum auflagenstärksten Magazin in Europa. (Über die Rolle von Nannen während der NS-Zeit wird hingegen diskutiert – lesen sie dazu z. B. den Beitrag seiner Enkelin Stephanie Nannen im Tagesspiegel „Henri Nannen war kein Nazi“.)
Einfache Technik mit hoher Aktualität
Das Prinzip des Küchenzurufs hat Nannen vermutlich in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre formuliert. Das verrät der Kontext, in dem Nannen den Begriff wie folgt definiert:
Was ist der Küchenzuruf? Wenn am Donnerstag der Hans mit seiner Frau Grete am Arm zum Kiosk pilgert, dort 2 Mark 50 hinlegt und den neuen stern käuflich erwirbt und sie beide dann mit dem stern unter dem Arm wieder gemütlich nach Hause wandern; und Grete sich dann in die Küche verfügt, sich die Schürze umbindet, um sich für den Abwasch vorzubereiten; und der Hans nebenan im Esszimmer Platz nimmt, den neuen stern aufschlägt und mit der Lektüre beginnt; und wenn der Hans dann nach beendigter Lektüre diese Geschichte voller Empörung seiner Frau Grete durch die geöffnete Küchentür zuruft: „Mensch, Grete, die in Bonn spinnen komplett! Die wollen schon wieder die Steuern erhöhen!“ – dann sind die beiden knappen Sätze: „Mensch, Grete, die in Bonn spinnen komplett! Die wollen schon wieder die Steuern erhöhen!“ der sogenannte Küchenzuruf des journalistischen Textes.
Zit. nach Christoph Fasel (2013): Textsorten. 2., überarbeitete Auflage. UVK: Konstanz, München. S. 11.
2,50 DM – das war der Einzelverkaufspreis für eine Stern-Ausgabe in den Jahren von 1976 bis 1980. In diesem Zeitraum muss also diese Definition entstanden sein. Ungeachet des reichlich antiquierten Rollenbilds hat der Küchenzuruf bis heute nichts an Aktualität eingebüßt. Ganz im Gegenteil: Angesichts des erhöhten Zeitdrucks in Redaktionen ist er für die Pressearbeit sogar wichtiger denn je.
Stell‘ Dir vor …
Der Küchenzuruf ist eine enorm hilfreiche Technik, um das Wichtigste einer Pressemitteilung zu erkennen. Damit seine Formulierung auch gelingt, gibt es einen einfachen Trick: Leiten Sie Ihren Küchenzuruf gedanklich einfach mit der Phrase „Stell‘ Dir vor“ ein. Dann machen Sie intuitiv meistens alles richtig. „Stell‘ Dir vor, Grete, die in Bonn wollen schon wieder die Steuern erhöhen!“ lautet also die Kernaussage aus Nannens Schnurre.
Substantiv – Prädikat – Objekt. Ein einfacher Satzbau sorgt für die bestmögliche Verständlichkeit für Ihren Küchenzuruf.
Denn Grete muss trotz ihrer Hauptbeschäftigung in der Küche die Kernbotschaft verstehen. Das gelingt ihr aber nur, wenn Hans nicht allzu kompliziert formuliert.
Kerstin Liesem (2015): Professionelles Schreiben für den Journalismus. Springer VS: Wiesbaden. S. 56.
In der PR beantwortet der Küchenzuruf also die eingangs gestellte Frage des/der Journalisten/in: „Warum soll ich das lesen?“ Der Küchenzuruf kommt also dort zum Einsatz, wo über diese Frage entschieden wird. Und das ist eindeutig die Betreffzeile des E-Mails an die Redaktion.
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